SPEKULATIUS

„Bitte alle Artikel aufs Band legen …“, Als würden wir Menschen uns nicht eh permanent überschneiden, kerbt sich ein Ellenbogen in meine Seite. Es ist ein illusorisches Unterfangen, unberührt den Kassenbereich passieren zu wollen. Der Bogen überspannt es. Ich hole zu einem krachenden Lächeln aus … bigott … unberechenbar seine Reaktion. Ich warte … Es gab eine Zeit, da habe ich mir erlaubt, zu spekulieren. Spekulieren im Sinne von mutmaßen. Blitzschnell erschienen alle vor- und unvorstellbaren Möglichkeiten parallel und in Reihe, farbenprächtig transparent und mit Untertiteln auf meinem inneren Flatscreen. Hyper- und Hypothesen. Ein Filmstreifen von der Rolle gelassen: a) Er wird mit den Worten „Oh, da haben Sie aber verdammtes Glück, dass ich den Bogen raus habe“ zurückweichen … b) er murmelt irgendwas von Handicap und Robin-Hood-Syndrom … c) Er schüttelt eine Hasenpfote aus dem Ärmel … d) Er verbündet sich mit dem nächst Nächsten und degradiert diesen zum Bogensekundanten … e) Er schaut mich tonarm an … f) Er reißt sich den Arm aus, um mich zu besänftigen (worauf sich dieser Hyperthesenast sofort in Hypothesen verzweigt: was mit einem Arm anzufangen wäre … f-a) naheliegend wäre die flotte Begründung einer Armada oder … f-b) der Versuch manuell gesteuerten Begreifens 3-dimensionaler Räume … f-c) als Fingerfood im Zoo und … g) Er holt sehr weit aus, hält ein Plädoyer für die Ellbogenfreiheit und zückt seine Börse … Spekulation – in Urzeiten sicher ein sinnvoller Verwaltungsaufwand. Heute ist solcherlei Energieeinsatz – wie damals auch – nur noch in lebensbedrohlichen Situationen angebracht. Hier kann sie den entscheidenden Sekundenvorteil bringen. Aber wozu um alles in der Welt mutmaßt man darüber, warum der Wagen vor uns genauestens die vorgeschriebene Geschwindigkeit einhält? Fahranfänger, Tempomattester, Geburtstagsverweigerer … sind Gedanken, die das Hirn verstopfen. Seifenblasen auf dem Hemd des eigenen Hoheitsgebietes. Das wird nie wieder porentief rein. Nicht mit Weißer Riese Ultra und auch nicht durch Brainwash bei 120 Grad. Mindestens der Schmutzrand bleibt. Ein sauberes Spiel bleibt es nur, wenn man die Regeln kennt (Schutzanzug oder Abstandshalter sind vorteilhaft, den Würfeln ist nicht zu trauen, alles ist möglich, jeder hat Recht) und vom Spiel weiß (Das Brett vor deinem Kopf ist nicht das Spielfeld). Ich schaue dem Rempler abwartend ins Gesicht und kreise inzwischen beobachtend über meinem Haupt, wie es sich für das Spekulieren nach alter Gepflogenheit geziemt … der Ellbogen schmitzt lachend zurück und wir gehen unverschämt unserer Wege.

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