DAS LEBEN DES BRAIN

Ich blättere durch die Bilder meines Lebens. Ich auf einem Karussellpferd, am Strand mit Schirmmütze mit meinem Bruder mit Brausepulver mit Kaulquappeneimer mit verheulten Augen schlafend mit einem Eis im Mundwinkel mit Fragen mitten in einer Pfütze. Das könnte genauso gut ein anderer sein. Ich habe keine Geschichten zu diesen Bildern. Ein Index, dem die Inhalte fehlen. „Ja, weißt du noch, …“ „Nein!“ Unmerklich verlor sich dieses Detail sowie alle die anderen. Endlich bleibt von der Geschichte nichts als Kolportage – zudem noch persönlich gefärbt. Die Erinnerung an eine Erinnerung – sagte ich, an anderer Stelle schon einmal, glaube ich mich erinnern zu können. Wenn sich ein Gedanke aus verschiedenen Ansätzen in der gleichen Form herausbildet, ist er dann wert, wahrgenommen zu werden? Ist „Vergessen“ Krankheit oder Kunst oder beides? Wäre ein Meister in der Kunst des Vergessens nicht auch Meister der Improvisation? „Was du gestern für mich warst, kannst du mir heute aufs Neue sein“. Das ist keine Auslegungssache sondern Werk – täglich frisch komponiert – unbelastet von Kamellen. Freud und Männer vom Fach würden so jemanden als Verdrängungsexperten bezeichnen. „Alles wird irgendwo festgeschrieben“, zur Not im Unbewussten. Ich denke an Domino – es besteht keine Option. Man kann nur anlegen. Regelvollzug. Jetzt fragst du, was gegen ein Leben in vollen Zügen einzuwenden ist? … dass die Stationen definiert sind? … dass die Richtung vorgegeben ist? … dass die Weichen gestellt sind? Zwangsläufig. Etwas völlig neues kann nur entstehen, wenn man sich vom Gleis der Historie löst. Tabula rasa – eine leere Tafel, auf der der Schatten der Geschichte nicht wie eine Schablone über der Zukunft liegt. Man könnte meinen, ich dementiere Demenz als Krankheit – dabei lasse ich nur den Gedanken zu, dass es vielleicht auch krank ist, wie man als Ewiggestriger damit umgeht. Das allgemeine Kantinengespräch besteht nun einmal aus Erinnerungen, aus Einspeisungen der Geschichte. Eine Retortenschlacht. In der Rekapitulation steckt immer auch ein Anteil Kapitulation. Zurück zum Bild: das Kind mit den Fragen in der Tasche … eine Pfütze, die in den Himmel schaut. Die Weisheit des Universums in einem Moment … Ich wünsche mir Google Brain – findet in Ihrem Gehirn den eben noch gesuchten jetzt aber vergessenen Begriff – was nicht gleichbedeutend ist mit Autokorrektur. Ein Schelm, der diese Worterkennungsmaschine programmiert hat, wie sonst erklärt sich der vorgeschlagene Begriff „Nacktschneckenbügeln“? Spontanverknüpfung … Heiß!!! Das eine oder andere bleibt besser in Erinnerung.

Werbung