Dezember.2016 Walle walle
Es ist noch früh. Ich fülle die ganze gute Stube. Mein Körper verschmilzt mit den Wänden, wabert in die Ritzen der Dielen und quetscht sich ins Gebälk. Sehr viel Universum in mir heute morgen. Meine Stützstrümpfe habe ich assimiliert so wie so weit alles in diesem Raum. Ich bin momentan mehr nichts als was und mehr lose als fest. „Amöben haben eine sehr interessante Zellstruktur“ höre ich mich sagen doch es fühlt sich an wie walle! walle und scheint von irgendwo her zu kommen. „Kleintierpraxis … lass mal etwas Luft raus.“ … walle walle. Wenn ich jetzt das Fenster öffnete … verteilte ich mich in alle Winde und wäre nur noch in Spuren … Ich entscheide mich vorerst dagegen und für einen Elementarteilchen-Kaffee-Beschleuniger um die innere Ordnung wiederherzustellen. Ich bitte um Konzentration. „Ein Doppelkeksfrühstücksufo aus dem Blätterkrokantuniversum … magst du???“ Manchmal wünsche ich mir mehr Tee im Kaffee. „Es könnte sein, dass Eischaum als Bindemittel …“ Quassel … du musst das Quassel sein. Das Quassel – ein Gast aus der Hölle – treibt einen in den Wahnsinn, wenn man nicht acht gibt. „Was war vor 100 Jahren?“ … es hat alle Register geöffnet … es quasselt. 1916? walle walle. Unerhört breite ich mich weiter aus. „Blätterkrokant!… ja, gucke, steht hier.“ Schichtarbeit. Ich kann dem nichts abgewinnen. Meine Magengrube scheint nirgendwo zu sein, „Vielleicht Stollen?“. Zum Tagebau, nein! Ich bin nach wie vor alles außerordentlich. „…, Frank Sinatra hat das gesagt.“ Das? „Ich werde Berlin kaufen und daraus einen Parkplatz …“ Platz machen wäre unter Umständen gangbar und nicht mal abwegig. Platz für Raum. „Haltet durch, es wird Winter! … manchmal hält die Tür. Ui ! Einer rennt da immer brüllend raus. Macht mal hier keinen Aufstand!“ … das Quassel ist in Höchstform. „Was macht denn das blaue Licht da? Oh, der Palast von Kathmandu …“ Ich möchte gern platzen, sofern das formlos möglich ist? „… du alte Tontafel!“ Die heißt jetzt CD, aber die verwendet auch keiner mehr. „1916“. Das Ministerium des Innern hat noch immer kein Ohr. „Wir kennen das Ergebnis schon.“ Krieg dich mal wieder ein. „Korsett oder Zwangsjacke?“ Doppelkeks! Ich sollte mich zuerst mal in Form bringen.
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November.2016 Seifenblasen
Es brennt. Zeig mal her. Da gibt es nichts zu sehen. Es brennt einfach. Nicht reiben und ordentlich spülen. Ich hab dir ja gesagt, dass du dich von diesem Kinderkram lieber fernhältst. Das ist kein Kinderkram. Das ist … ach schau doch mal … diese Schwerelosigkeit und diese Farbgewalt. Herrlich. Ja, ganz wunderbar. Und wie sie sich verbiegt. Ähnlich einem Ahorn im Oktober. So ein Ahorn sprengt ja beinahe den Farbkreis. So ein Ahorn könnte allerdings auch brennen. Aber vielleicht eher indirekt. Da müsste ich schon sehr nah dran sein, damit es mich berührte. Ich sagte ja auch „fernhältst“, ich sag ja nicht, dass du nicht spielen darfst. Zeig mal her deine Seifenblase. Erstaunlich, wie sie den Raum verzerrt. Man möchte ihr ihre Kurzlebigkeit gar nicht abnehmen. Und da … gucke … in einem winzig kurzen Moment lässt sie sich gehen und verschwimmt mit der Realität. Wäre das dann auch Kinderkram? Was meinst du überhaupt damit? Kinderkram? Das ist schließlich alles Kinderkram, wenn man es von ferne betrachtet. Miniaturwunderland. Ja? Siehst du doch. Kleine Leute wie du und ich machen sich kleine Gedanken über kleine Leute mit kleinen Gedanken – alles Kleinkram. Ja dann sag doch Klein- und nicht Kinderkram. Kleiner Wortschmünkelkram! Das auch. Bei dir ist wohl alles klein, oder? Das war aber eine große, die so brennt. Nur weil sie direkt vor deinem Auge geplatzt ist. Eigentlich war sie klein. Du bist eben weiter entfernt. Deshalb. Eben warst du ja noch an meiner Seite. Eben. Bin ich ja auch gleich wieder. Nur eben einäugig. Also zweidimensional. Wenn du so willst. Bringt dich das aus dem Gleichgewicht? Eben. Flächig? So kannst du das auch sehen. Was? Das Kleine kannst du auch in der Tiefe sehen oder eben in der Untiefe. Wenn es dir flach vorkommt, ist es das möglicherweise auch. Der Raum scheint jedenfalls größer. Der freie Raum dazwischen. Es ist also doch nicht alles klein. Alles bis auf den Raum. Den kann ich eben deutlich erkennen. Der ist gewaltig. Dann hat die kleine Seifenblase also durchblicken lassen? Wenigstens nachdem sie kollabierte. Bleibst du jetzt 2D? Oder ich lasse mir Flügel wachsen. Gib mir doch bitte nochmal das Pustefix …
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Oktober.2016 Grauwahl
Ich gehe mit meinem grauen Rolli vor die Tür, der Himmel ist grau ebenso wie die Katze der Nachbarin und diese selbst aber nicht ganz so grau wie das Gras von gegenüber – grau ist gut. Sogar im November. Schade, dass dieser Grauschleier nicht alltagstauglich ist. Abgesehen von Halloween ist er jedenfalls nicht tragbar. Und zudem fehlen Kontrast und Tiefenschärfe. Ich gehe wieder rein und rolle ab. Aua … das ist mir hier wirklich zu bunt. Ich liebe Farben, aber manchmal sehne ich mich nach so etwas wie Veredelung der Realität. So etwas wie Graupause. Grauer Faden, graue Welle, graue Elise – grau in allen Stufen. Vielleicht ist es ja auch meine DDR-Vergangenheit, die mich über das Leben in Farbe grübeln lässt. Abgefärbt hat die jedenfalls nicht. Aber möglicherweise hatte ich ’89 eine Art Farbkollaps. Ich erinnere mich sogar genau an den Augenblick des Kollabierens. Aufsteigendes Grausen und das dringende Bedürfnis nach der Dunkelkammer meines Vaters. Alles schön schwarz-weiß. Überbelichtet, unterentwickelt – am Ende zeigte es sich immer feinkörniger als die Wirklichkeit. Dank moderner Technik ist Entfärbung heute schon beinahe erlebbar. Zumindest im Bereich von Bildbearbeitung und Textilwäsche. Allerdings nur Second Hand und auch nicht 360Grad. Es ist einfach nie dieser Moment in grau sondern immer schon ein vergangener. Das jeder Moment schon nicht mehr aktuell ist, wenn er meine lange Leitung passiert hat und in der Empfangshalle angekommen ist, lass ich mir geschickt vorgaukeln. „Beinahe live“ wäre fürs erste in Ordnung. Ich kann mir ja nun schlecht eine Kamera mit sw-Display vors Auge knoten oder meinen Farbrezeptoren die Mittel streichen … eine einfache sw-Brille wäre mir das liebste. Gibt’s aber nicht. Ich binde mir einen Dederonstrumpf vor die Augen. Graubünden. Funktioniert vielleicht als Keilriemenersatz aber ich schau lieber nochmal und gehe mit meinem grauen Lolli vor die Tür. Die graue Sonne geht eben in einem grauen Streifen am Horizont unter – die Augen der Nachbarskinder zeigen mir deutlich, daß er wenigstens rosa wenn nicht sogar pink ist. Sie sagen mir auch, daß ich eine Vogel habe. Ich nehme den Strumpf von den Augen. Eine einfache sw-Brille wär mir lieb – eine, die ich beim Essen und zum Morgengrauen einfach absetzen kann.
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September.2016 Schinkenklopfer
„Ich ärgere mich jetzt nicht mehr, ich lache jetzt drüber“, sagst du soeben ganz im Ernst. Da bist du also mit mir hier draußen auf dem Schauplatz. Fein, fein. Dann können wir den Kleinkram ja jetzt außer Acht lassen und uns der Frage zuwenden? Diese steht nämlich im Raum. Wenn auch unbeantwortet. Und sie macht sich relativ breit in diesem. Auch ohne staubfreien Haftgrund ist sie fies klebrig. Die Frage selbst ist eher unkonkret. Sie stellt sich nicht. Sie will auf frischer Tat ertappt werden. Gesetzt den Fall … würde ein Kriminalist das Vergehen der Zeit als sein eigenes enttarnen und diese Frage zum Beweis heranziehen? Vor Gericht würde sie wohl eher nicht zugelassen. Täter und Tatzeuge zugleich … undenkbar. Ich aber bin, auch undenkbar aber unkonkret im Raum stehend … ich und es. Sub- und Objekt. Klingt abgehoben. Rein subjektiv betrachtet bin ich das auch. Objektiv gesehen ist es recht bodenständig. Es ist nur eine Form der Betrachtung. Eine Trennung kommt jedenfalls nicht in frage. Ich grinse und es ebenso, wie ich sehe. Im Prinzip ist es Wurst, ich seh es aber gern lachen. Warum auch nicht. Vor dem Hintergrund des Universums oder besser des großen unfassbaren Ganzen erscheint doch alles irgendwie unbeholfen komisch. Die Tanzbegegnungen zum Beispiel. Was Menschen so tun und dass sie es tun. Eine komplett sinnfreie Bewegung im Raum. Ein unbeabsichtigter Slapstick. Beinahe eine Persiflage auf sich selbst. Aber es tanzt. Und lacht. Und was soll es auch sonst tun, wenn es doch eigentlich nichts zu tun gibt. Jedenfalls nichts außerhalb von Selbstbefriedung. Ja, genau und auf die Frage: „Wie geht es?“ mit „Es lacht“ antworten können. Also wenn du jetzt auch … Eine Art Doppelspaltexperiment … sind ES und ES wie zwei tanzende Weißwürste, zwei förmige Fleischberge. Ich sehe meinen Fleischberg sich am Kopf kratzen. Deiner röchelt genüsslich einen Kaffee. Lachhaft – ganz ohne Urteilsverkündung. Wenn wir uns beide so sitzen sähen, wär‘s vorbei mit Max Ernst. Dada klopft‘s? Ah, ein weiterer Rohling will eingelassen werden. Heiter. Jetzt sind wir schon sechs. Kleinkram kommt auf den Tisch. Wird auf die Waage gelegt und zwischen Zunge und Zähnen zermalmt. Stimmlippen werden angeblasen und … Was ich so komisch finde? Die Frage steht.
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August.2016 Laudatio
Lau ist der Abend und laut. The Sound of Silence schallt annähernd ungefiltert durch meine Hibiskenwand. Mein Nachbar hat eine Vorliebe für dieses Stück Musik. Ich auch. Aber Silence wäre mir manchmal vorlieber. Heute Abend stellt meine Hecke mich einmal mehr bloß. Ihr Blattwerk hat im Fall der Fälle die Option sich durchlässig zu schalten. Manchmal allerdings verschluckt es auch Geräusche – wenn es sie mag. The Sound of Silence erscheint mir auch etwas gedämpfter als das Gegacker der eingeladenen Hühner. Bei fiesem Rasenmäher- oder Heckenschersound lassen mich meine Blätter sehr gern zu 100 % teilhaben. Beinahe schon eine Anklage. Auch scheinen diese Geräte nur in Reihe geschaltet zu funktionieren. Parallel hätte den Vorteil, dass es nur zu einem kurzen Pegelanstieg käme und die Belästigung sich im Rahmen hielte. Das könnte sich doch regeln lassen. Eigentlich dürfte sich das sogar selbst regulieren wenn ich unterstelle, dass Menschen wie du und ich sind. Tut es aber nicht. „Vorleben“ sagt Oma immer. Nicht die, die sie schon als Grand Dame am Trapez oder als Häsin von Dürrer verlebt hat, sondern „vorleben“. Zu Omas Zeiten war das vielleichter weil man sich da noch ansah. Heute sehen wir davon ab. Blickkontakt ist zu einem kurzen Spielball zwischen Display und Glotze mutiert. Warum ich denn den Rasen mit der Schere schneiden würde? Ich nehme an und spiele zurück. Die Antwort inspiriert den Nachbarn dazu, das Auto vor meiner Hecke auszusaugen, die Geranien zu fönen, den Kantstein zu sandstrahlen oder anderen Lärm mit technischen Schnickschnackgeräten zu erzeugen. Schallflegel. Der Ball bleibt auf seiner Seite. Vorleben – Omi – das wird kein Nachspiel haben. Den nächsten Blick werfe ich auf meine Hecke. Vielleicht ist sie der intelligentere Ansprechpartner. Wie schnippse ich ihr die Kirsche schmerzfrei zu? Von chemischer Keule, könnte ich ihr subtil zuflüstern, halte ich nichts. Mal sehen, wie sie reagiert. Sachte, meine Liebe … ich werde sie einfach ansehen, Zeit mit ihr verbringen … sie ein wenig Läusen … Ein Experiment was sich lohnen könnte. Wenn das funktioniert, meditiere ich als nächstes über Nachbars Rasen. Es ist mir eh rätselhaft, warum es noch keinen wie auch immer gezüchteten kurzwachsenden Rasen gibt. Bonsairasen. Was wäre es lau ….
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Juli.2016 Schadstoffentlastung
Was soll denn das da mit den Klebestreifen? Schade, dass du fragst. Schade? Ja, weil ich jetzt erklären muss, was ich nicht erklären will. Kann oder will? Beides. Aber du hast es gemacht, dann weißt du ja auch, was es soll. Ich weiß es nur, weil du mich gefragt hast. Vorher war es einfach nur so. Es ist so, weil du es so wolltest. Nein, es ist so, weil es so ist. Aber jetzt ist es anders. Das seh ich nicht so. Ich schon. Es hat mit deiner Frage eine Bedeutung gewonnen. Gewonnen klingt so bereichernd. Bedeutung kann auch Bürde sein. Hatte es die vorher nicht? Nein, es war unbelastet. Schade. Wieso schade? Muss alles immer eine Bedeutung haben? Wenigstens einen Sinn. Aber es hat doch einen Hintergrund. Ist das nicht genug? Wenn du mir bitte den Hintergrund erklären könntest. Schade, dass du ihn nicht einfach nur wahrnehmen kannst. Füüüühlen! Ich möchte doch nur wissen, was du mit diesem Ding sagen möchtest. Nichts. Das macht ja keinen Sinn. Nur, wenn dir nichts Eigenes dazu einfällt. Warum sollte mir denn dazu was einfallen, das ist doch DEIN Klebestreifen auf DEINEM blauen Hintergrund. Da hast DU dir doch was dabei gedacht, hoffe ich. Ich hab mir nichts gedacht, aber jetzt muss ich wohl. Das meinte ich. Du machst es kaputt mit deiner Frage. Was mache ich kaputt? Das Ding da ist ja wohl ordentlich verklebt. Das Gefühühl, du meuchelst das Gefühl. Eben war es noch ausgewogen – jetzt hängt es schief. Es hängt gerade, wenn du mich fragst, nur die Klebestreifen vermitteln den Eindruck von Schieflage. Es geht hier doch nicht um Position im Raum. Von meiner Seite aus kann es auch kopfüber hängen. Das würde allerdings einiges ändern. Das seh ich nicht so. Was änderte es denn? Na, dann früge ich, was das mit den Klebestreifen auf Kopf soll. Frag dich mal lieber, warum du diese Frage stellst? Es hat für mich eben nur mit Sinn wert. Ist es das wert? Was? Es mit meinem Sinn zu versehen auf Kosten deiner Freiheit? Angenommen ich nähme die Frage zurück? … müsste es sich erst einmal setzen. Sitzgruppe. Entschuldige, aber ich kann das so nicht stehen lassen. Was soll ich denn den anderen sagen. Die werden fragen, was das mit den Klebestreifen … Ich weiß, schade.
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Juni.2016 gestern ist, wenn ich das sach …
04:52 – Sonnenaufgang. Der Himmel wabert friedlich bewölkt lang hin. Ich hocke in meinem gestreiften Schlafanzug in meinem karierten Käfig und arbeite schon hart an meiner Wahrnehmung. Vergitterte Zeit. Heut ist der längste Tag des Jahres – Mittsommer. Das Geflecht um mich herum dehnt sich etwas, bleibt aber im Rahmen. Es ist nicht meine Zeit – noch nicht – könnte ich sagen, sagt man ja gerne, doch inzwischen, nachdem ich das Netz ausgiebig beobachtet und sogar durchschaut zu haben glaube, lass ich das noch und sage lieber, ist sie nie gewesen und wird sie auch nicht mehr. Entweder der Erfinder dieses Zeitkokons hat sich in seinem eigenen Zwirn verstrickt oder ich habe eine andere Fadenstärke. Jedenfalls ist meine Zeitrechnung ein andere. Gestern z.B. ist für dich schon ein paar Wochen her, wenn ich mal das allen verständliche Zeitvokabular zur Erklärung heranziehen darf. Wie sonst ist es möglich, dass der Abend für dich schon Tage zurückliegt, sich für mich aber eben erst legt. Wenn wir uns heute wieder finden, habe ich dich noch nicht gesucht, du mich aber schon als vermisst gemeldet. Ich bin heute morgen frisch gehäutet und das könnte mit ziemlicher Genauigkeit gedauert haben oder gestern gewesen sein. Aller Morgana gleich, sitze ich umwölkt fest. Das Gitter gaukelt mir das vor und je länger ich darauf schaue, desto unsicherer wird der Grund. Innerhalb des Rasters ist die Relativität fassbar, von außen scheint die andere Halbzeit durch, die das ganze flüssig zu machen verspricht. Der Spagat einer Schere. Könnte ich nur … doch ich und du sind getrennt durch eine nächtliche Traumlandung. Erst gegen Abend wird das Netz zwischen uns sich allmählich auflösen. Ich bin optimistisch, an einem langen Tag wie heute ist Durchschaubarkeit möglich, und schon ertappe ich mich bei dem Gedanken: „… wenn das ein Traum ist, kann ich auch fliegen.“
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Mai.2016 Subjekt Prädikat Werb
Ich warte. Ich habe den Betrag ausgewählt und meine Pin eingegeben und … nun soll ich mir ganz in Ruhe die eingeblendete Werbung durchlesen. Ob die Wartezeit an die jeweilige Werbung angepasst ist? Ich schaffe es jedenfalls genau, auch das Kleingedruckte am Sternchen zu lesen, bevor der Automat mir das Geld auswirft. Ob der Betreiber weiß, dass das Kostbarste, was ich besitze, meine Zeit ist? Ich zahle 4 Euro Gebühr, weil ich mein Konto nicht bei dieser Kasse habe und 2 Minuten meines Lebens. Der erste Betrag wird großzügig abgefragt, ob ich trotzdem … der zweite wird nicht infrage gestellt. Ist es aus unserem Bewusstsein gerutscht, dass die Uhr abläuft? STOP, nicht ganz. Die Werbung eines Sportartikelherstellers lässt hoffen „die Zeit ist fast abgelaufen“. Nach- und vorgedacht – wenn man die Atempause einlegt. In meiner jetzigen Situation bin ich geneigt, mir die zwei Minuten in irgendeiner Form wiederbeschaffen zu wollen, indem ich a) rücksichtslos das Geschwindigkeitslimit missachte, b) jemand anderem seine Zeit klaue, c) mir mein Mittagessen nur lauwarm zubereite, d) meine Nächstenliebe um 2 Minuten reduziere, e) … „Ich glaube, der Reinkarnationsrechner ist infiziert“ bringt es Herr Dau auf den Punkt. Besser, ich distanziere mich. Ich möchte nicht mein Karma aufs Spiel setzen. Das Karussell fährt ohne mich weiter. Ob dem Werbenden klar ist, dass sein Sparkassenautomateninserat in mir ein Negativkonto aufmacht, dass mir für alle Zeit verbietet, ihm, was auch immer abzukaufen. Schließlich musste ich ihm ja schon 2 Minuten schenken. Hausieren um jeden Preis ist nicht immer ein gutes Geschäft. Ich frage mich ob derselbe nicht auch eine auf Krankenhausbettenfußenden angebrachte Werbung angebracht fände. Die wäre nach einer Woche Aufenthalt so richtig schön implantiert. „Meine Mutter hat mich Mercedes genannt, weil im Kreißsaal …“ – na, sie wissen schon. Ich bin wirklich dankbar, dass ich beim Zahnarzt auf einen Palmenstrand schauen darf, während ein schwarzes Loch meine halbes Haupt verschlingt. Betäubende Einsicht. Werbe nicht in unbequemen Lagen. Ich nehme den Betrag in Empfang. An dieser Stelle scheint mir statt Werbung ein Goethe angebracht „Verweile doch! Du bist so schön!“
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April.2016 Eigentor
Aufsteigender Rauch. Ganz in der Nähe faucht ein Zug. In den Scheiben spiegelt sich der klare Himmel. Die abendliche Geschwätzigkeit der Spatzen im Nacken, denke ich so bei mir, warum eigentlich nicht … „Ist das ein schönes Blau?“ Wenn du mich so fragst, mit der Betonung auf ‚das‘: ja. DAS ist ein schönes. Nur im Kontrast zu dem Weiß erkältet es sich etwas. „Dem?“ Ja, das zu weiße Weiß. Es erschreckt sich ja beinahe vor sich selbst in seiner Kühle. Ein leichter Graugelbschleier würde ihm nichts nehmen außer den Verdacht, verdächtig zu sein. „Du wirfst doch nicht etwa dem Weiß seine Reinheit vor.“ Sicher doch, ich klage es sogar an. Und zwar seiner Unnachgiebigkeit. An Weiß kann sich keine Farbe bedienen. Weiß ist da schonungslos. Neben ihm ist es dem Blau unmöglich, sich selbst zu entkommen. Es ist blau – sonst nichts. Unvermeidlich. „Gilt das nicht immer wenn nur zwei Farben im Spiel sind?“ Weiß spielt nicht. Ich sage es nur, wie es ist: blau. „Das beantwortet nicht die Frage. Gilt deine Unvermeidlichkeit nicht für jede Farbkombination, wenn es keine weitere Vergleichsfarbe gibt? Ist weiß nicht nur die Null, die du gesetzt hast? Mit Betonung auf ‚du‘.“ Das könnte man mir unterstellen, ja. Was ‚du‘ aber meinst sind verschiedene Spiele, die alle denselben Regeln folgen. Nehmen wir an, du liegst richtig. Rot gefällt sich neben blau, nicht aber neben grün. Gelb schmiegt sich an blau, verachtet sich aber in der Gesellschaft von violett. Grün schmückt sich mit blau, und so weiter. Und das Blau spielt jedenfalls eine Rolle. „Ist doch schön, wenn es eine Rolle spielt.“ Eben. Allerdings nur, wenn du das weißt. „Was weißt?“ Das mit der Rolle. „Das wollte ich schon immer mal ansprechen, der Zipfel gehört nach vorne.“ Das ist mir sowas von Brille. „Mir aber nicht.“ Siehst du, wieder so ein Spiel mit Regularien. Im Grunde geht es doch um etwas ganz anderes. Wenn ich nun aber gar nicht spielen möchte? „Niemals?“ Jedenfalls nicht, wenn wir nicht beide darum wissen, dass gespielt wird. Mit der Betonung auf ‚dass‘. „Und wenn nicht?“ Dann hast du nur die Möglichkeit, das Spiel als Spiel zu entlarven – ein feiner Zug aus der Ferne. „Du kannst sehr unnachgiebig sein.“ Ich weiß. Zumindest im Kontrast zu ‚dem‘ Blau …
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März.2016 … vom Einschlafen in der Badewanne
Heute back ich morgen brau ich übermorgen werde ich gesellig sein –so der Vorsatz. Welch ein Prolog. Den Kuchen anrührend genieße ich die Aussicht. Dieses Mal wird es gelingen. Den Teig und die Sonne aufgehen zu sehen, bestärkt mich darin. Kontaktfreude ist nicht jedem gegeben. Mit ansprechender Veranlagung ungenügend ausgestattet, könnte man wortwörtlich anspruchsvollen Gesellschaften wie Geburtstagefeierlichkeiten entsagen. Wenn ich mich nur nicht versprochen hätte … die Vorbereitungen mentaler Art laufen. Physicher ist es, dass ich auftauche? Der Badeofen ist an. Der Kuchen in Form. Ich noch nicht – heute darf ich formlos in die Vergangenheit abtauchen. Wie oft ich in den letzten 25 Jahren schon mit dem Leben davon kam … Schon der Anfang hätte mit ein wenig mehr Willen das Ende sein können. Nicht von ungefähr lautet der Titel eines meiner liebsten Bücher „Vom Nachteil geboren zu sein“. Aber der Lebenstrieb war schon immer schwer zu zügeln wie auch meine Zunge – damals jedenfalls. Was alles passieren könnte und was tatsächlich geschieht … Was hatte ich wohl vor, als ich im Alter von 3 Jahren mit dem Dreirad verschwand und man mich sinnierend an einem Abhang fand. Mit 6 bin ich jedenfalls wohlbehalten mit dem Rad bei Oma am anderen Ende der Stadt angekommen. Alleine und ohne Helm. Und immer diese Sprunghaftigkeit – der Todessalto vom Trampolin gegen die Wand … warum um Himmels Willen. Was am seidenen Faden hängt wird nicht immer Schmetterling. Eine kleine unbescheidene Faltersweisheit die sich wohl auf das Ende einpendelt wenn sie nicht noch saftigen Rumpfes einem Vogel zum Frühstück wird. Der Wille – ein Akt der Vernunft, im Gegensatz zu Sterbehilfe am eigenen Leib: das Holz zu dicht am Ofen zu lagern und nur mit Glück und einer wachsamen Hundenase nicht zu verrauchen, den Ventilator an Überhitzung zerlaufen und die Terrasse in Brand setzen zu lassen, der Versuch, eine Welle zu reiten und auf dem Kamm pfeifend abzuspringen um danach minutenlang getaucht und durchgenuddelt zu werden. Und immer wieder das freudige Erwachen, auch diesmal nicht formlos im Badeschaum verreckt zu sein.
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Feb.2016 Nu Pogodi
Sonne, die klappernde Postfrau, eine Antwort … „Worauf wartest du noch?“ Ich warte einfach, dass es Abend wird und ich mich wieder schlafen legen kann. Schlafen erscheint mir die einzige angenehme und damit sinnvolle Tätigkeit zu sein. Alles was getan werden könnte … und das ist allerhand … wartet darauf, getan zu werden, es ist nur noch nicht an der Zeit. Die Zeit – während ich warte, beobachte ich sie ein bisschen. Wie sie sich aus dem Brotkasten in die Dielen krümelt. Da hockt sie dann, um sich mit den Schatten aus meinem Blickfeld zu schummeln. Sie mag es, nicht beobachtet zu werden. Sie verhält sich gern unstet, eigentlich möchte sie lieber ablaufen, aber unter meinem strengen Blick erstarrt sie. Eine Ewigkeit von jetzt bis jetzt. Die Minuten quälen sich am Zeiger vorbei. Um Erbarmung bettelnd überrundet sich die Stunde. Beinahe beneidet sie mich um mein Vergehen. Ein ungeklärter Straftatbestand. Vergehe ich mich am Leben, wenn ich warte? Am Spiel der Spiele, dessen Regeln mir so undurchsichtig sind wie meine geschlossenen Lider. Nur eine Ahnung. Gäbe ich mir Höhen vor, die zu überspringen zu nichts führte außer dem Sieg über mich selbst, wäre ich dann nicht auch Verlierer? Was bleibt zu tun, wenn alles getan ist? Ich sehe mich um, die Zeit hat sich inzwischen auf der Gardinenstange des Warteraums zusammengerollt. Staubwischen wäre naheliegend. Der Mob ist nebenan, aber die Zeit rührt sich nicht. Es ist noch nicht soweit. Ich verschiebe ‚Staubwischen‘ auf die Merkliste. Jeder Gedanke eine gezogene Nummer. Aufgerufen wird vielleicht niemals. Die Liste ist lang und am Ende nicht mehr als nur simples Ein- und Ausatmen, beginnend im Augenblick meiner Geburt (Der einzige Zeitpunkt in dem ich möglicherweise wartungsfrei war) endend in der Gegenwart – was ist das nur für ein mies hoffnungsvolles Wort. Schonungslos stellt es sich bloß. Waldschrat, na warte! Ich rufe mich zur Räson. Eine geschlagene Stunde, zum Kuckuck. Ein wie schwerelos fallender Zapfen, ein Streich des Bewusstseins. Was eigentlich erwartet mich? Der Abend, der Schlaf? Könnte mein Spiegel das Spiel durchbrechen? Wenn alles auf mich wartet und ich auf es – eine willkürliche Zwangslage. Ich täte gut daran … „Pudding?“ Woher du das nur immer weißt …
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Jan.2016 Janone Kaffeesatz
Ja, möchte man rufen. Ja zu Gewohnheitsrecht und Einheitsbrei. Ja zu Schlappen und Bademantel. Ja zu Nächten von 8 bis 8, ja auch zu Butterschnitte und ja zu Mustopf! „Ja, hast du womöglich einen Ringelnatz im Tee?“ Ja auch dazu. Ein Ringelnatz und zweimal Kraus, dazu ein Morgenstern … „Fisches Nachtgesang“ Ich sehe, wir verstehen uns. Ja, ja und ja. Legen wir ein Mandala aus Zigarettenkippen. Und wenn du möchtest … Ja! Ja zu Degeneration X und ja zu Glücksspiel in Indien. Klassenlotterie – so kommt Bewegung in den Kasten. Ja zum Wohl. Ja auf eine doppelte Verneinung und ja zum halben Hähnchen zum halben Preis. Ja zu Maßabfertigung und Nadelstreifen, Nudelschleifen, Pudelseifen, Rudelpf … Ja, der Ringelpiez lässt einen nie mehr los wenn man ihn … Ja zu lassen und zulassen. Ja … es klingt wie ein Gottesdienst in der Bronx. Darauf ein Ja zu Goldberg und zu Gospel. Ja zum Herrn und zur Dame. Ja zu Toilettenbrillen und ja zu Gleitsicht. Ja, was hatt’er denn da? Ja gucke mal. Ja zu Kinderreichtum und Mätzchen. Ja zu Lach- und Sach- und Gutenachtgeschichten. Ja zu Tunnelblick, zu Rückenschule und ja, mag sein. Ja zu Fallkonstante und zu Bruchlandung. Ja zu schweigen im Walde. Ja auch zu Uli auf Freiersfüßen. Ja zu kleinen Brötchen und darf’s noch etwas mehr sein … „jabbadabbadu“. Du bringst es auf den Punkt. Seit ich einen Vogel habe, ist nichts mehr wie es war. Ja, was soll’s. Nichts ist sicher und noch nicht einmal das. Du musst es nicht verstehen. Es versteht sich von selbst. Zum besseren Verständnis hier der …
Morgenstern, Christian
„Fisches Nachtgesang“
https://de.wikipedia.org/wiki/Galgenlieder#/media/File:Galgenlieder_025.jpg
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